"Camino. Mit dem Herzen gehen". Das andere Buch von Birgit Kelle
Dominik Klenk spricht mit Bestseller-Autorin Birgit Kelle («Muttertier») über ihr Buch der anderen Art. Sie tauschen sich über das Pilgern aus und reden von den schwierigen Anfänge der Reise, den Stresslösern, dem Nicht-mehr-nach-Hause-wollen, den verschiedenen Pilgertypen und dem Ankommen in einer anhaltenden Hochstimmung.
Dominik Klenk: Was hättest du jemandem vor 10 Jahren gesagt, der zum Pilgern aufgebrochen ist?
Birgit Kelle: Ich hätte gesagt: «Alles irre. Warum soll man sich das antun?» Ich wollte niemals wandern gehen, ich hab das schon als Kind gehasst. Mit Pilgern und mit Gott konnte ich vor 10 Jahren ehrlich gesagt auch noch nicht wirklich viel anfangen. Insofern waren das für mich eher seltsame Menschen, die aufbrechen und wochenlang mit irgendeinem Rucksack durch die Gegend zu laufen, um irgendeinen Gott zu suchen. Ich hätte überhaupt nichts damit anfangen können.
Jetzt entwickeln sich die Dinge weiter, und du hast selber die Fährt aufgenommen und bist eine letzte große Etappe auf dem Camino gegangen Richtung Santiago. Du warst bisher schon eine sehr erfolgreiche Sachbuch-Autorin, du hast über Frauenpolitik geschrieben, über das Muttersein, über Gendergaga, Geschlechter und Politik im Allgemeinen. Jetzt kommt mit «Camino» ein Buch einer ganz eigenen Kategorie. So etwas hast du in dieser Form noch nicht geschrieben. Ist das ein Registerwechsel, ist das die neue Birgit Kelle?
Ich würde sagen, vielleicht ist das die ganze Birgit Kelle. Die Menschen bilden sich ja immer ein, weil sie die Bücher von einem Autor lesen oder weil man mich im Fernsehen sieht, dass sie mich kennen. Tatsächlich ist es so, dass man nur mit einem Teil der eigenen Person in der Öffentlichkeit steht, und den anderen Teil aus sehr guten Gründen vor der Öffentlichkeit verbirgt oder besser gesagt schützt, weil es auch so etwas wie ein Privatleben gibt. Deswegen habe ich bislang die Dinge, die mich politisch in irgendeiner Form bewegen, nach außen gepustet, und habe die anderen Dinge für mich behalten. Insofern ist es das erste Mal, wo ich diesen Teil Preis gebe, der aber schon lange auch ein Teil von mir ist. Es ist also eher für die Leser etwas Neues, für mich nicht.
Trotzdem hast du möglicherweise auf der Reise auch mehr von der Birgit Kelle kennengelernt als vorher, zumindest in einer anderen Klarheit. Was ist denn der Unterschied zwischen wandern und pilgern?
Man sagt: «Der Wanderer geht los und der Pilger bricht auf.» Wahrscheinlich ist es genau das, so wie es sich auch für mich angefühlt hat. Wandern ist Spazierengehen. Wandern kann jeder am Sonntag machen, ein paar Stunden in der Sonne in den Bergen oder am Meer entlang. Das hat in dem Sinne wahrscheinlich keine tiefere Bedeutung. Pilgern ist für die allermeisten Menschen, denen ich begegnet bin, und auch für mich selbst ein Aufbruch. So hat es sich angefühlt. Es war lange überlegt und lange vor sich hergeschoben. Es war nicht nur ein Aufbruch mit den Füßen, sondern vor allem auch ein Aufbruch gedanklich. Das macht wahrscheinlich den wesentlichen Unterschied aus. Man geht nicht einfach so, weil schönes Wetter ist oder weil einem die Landschaft gefällt, sondern Pilger gehen in der Regel los, weil sie einen sehr dringenden Grund haben. [...]