Beat Rink: Die Kunst der Kürze
In dieser Folge spricht Dominik Klenk mit Beat Rink über sein neues Buch «Ohne Himmel sind wir unbedacht». Beat leitet die Künstlerarbeit von «Crescendo» und ist als Seelsorger mit Musikern und Tänzern aus der ganzen Welt unterwegs. Zur Entspannung schreibt Beat, und zwar in der kürzestmöglichen Form: Aphorismen.
Dominik Klenk: Beat, du kommst aus Basel und du lebst in Basel, aber deine Frau kommt aus Finnland. Wo fühlst du dich zu Hause?
Beat Rink: Ich habe gerade heute morgen mit meiner Frau darüber gesprochen, dass wir eigentlich zwei Heimatorte haben. Und ich fühle mich eigentlich an beiden Orten zu Hause, obwohl ich des Finnischen nicht so mächtig bin wie des Baseldeutschen. Aber es ist eine ganz andere Landschaft, eine andere Kultur. Und meine Familie fühlt sich auch dort zu Hause, meine Kinder. Und von dem her, ich liebe die Weite. Ich liebe nicht unbedingt die steilen Berge, obwohl ich Schweizer bin. So bin ich dort völlig zu Hause. Und selbstverständlich als Basler bin ich auch da zu Hause.
Es klingt, als sei es etwas ganz anderes und doch auch in diesem ganz anderen dir vertraut geworden.
Genau. Das hat sicher auch damit zu tun, dass Finnland, obwohl es flächenmäßig ein großes Land ist, doch eine Geschichte hat, die der Schweizer Geschichte irgendwo ähnlich ist. Die Finnen waren immer Minderheiten. Da kommt einem auch eine Mentalität entgegen, die sehr höflich ist und die nicht unbedingt darauf bedacht ist, das Fremde zu vereinnahmen. Ansässige Fremde sind auch nicht oft in Finnland. Und damit sind wir sehr willkommen. Und gleichzeitig merken wir, da gibt es eine Distanz, die uns zum Teil auch fremd ist, aber doch eine Willkommenskultur. Das Lustige ist, dass ich mit meinem Schwager einmal an einem See stand und über dem See, ganz, ganz klein, war ein Häuschen zu erkennen. Und ich habe zum Spaß gesagt: «Ja, die Nachbarn sind schon sehr nah.» Und dann hat er geantwortet: «Ja, das ist ein Problem.» Also das ist Finnland. Das ist sicher etwas anderes als in der Schweiz, aber gleichzeitig sind die Mentalitäten nicht ganz so weit voneinander entfernt.
Das ist schön zu hören. Die Brücke ist natürlich dann die Begegnung, ist die Sprache, ist vielleicht aber auch die Musik – eine besondere Art von Sprache. Und auch das spielt in deinem Leben eine größere Rolle. Du hast eine besondere Pfarrstelle hier in der Schweiz, in Basel. Erzähl uns ein bisschen, was das mit Musik und Kunst zu tun hat.
Ich bin tatsächlich Künstler-Seelsorger. Ich habe ein Mandat der evangelisch reformierten Kirche und bin vollzeitlich hauptamtlich als Pfarrer tätig in einem Werk, das überkonfessionell aufgestellt ist. Es heißt «Crescendo» und hat tatsächlich mit vielen Musikschaffenden rund die Welt zu tun, vor allem im Bereich Klassik und Jazz. Und ich bin nicht Musiker, aber ich bin affin und kenne die Musik. Und Basel ist auch eine Musikstadt. Was war deine Frage genau?
Inwieweit die Musik in deinem Leben eine besondere Stellung hat. Und ganz offensichtlich bist du, wie du sagtest, selber nicht primär Musiker. Du knüpfst ein Netzwerk von Musikern weltweit, von Menschen, die mit Musik, mit Kunst und vielleicht auch mit der Brücke zum Glauben zu tun haben.
Ganz genau, ja. Ich komme eigentlich aus der Studentenseelsorge und da haben wir, meine Frau und ich, bewusst Brücken geschlagen zu Kunstschaffenden hin. Vor allem in die Musikhochschule, weil wir gemerkt haben, dass dort eine Lücke da ist. In christlichen Kirchen oder Kreisen sind die Kunstschaffenden oft weit weg, würde ich mal sagen, oder sind nicht so im Blickfeld. Und das merken sie auch. Das sind manchmal auch Hochsensible und nicht ganz so stromlinienförmig einfache Leute, aber sie werden oft auch außen vor gelassen und haben etwas zu geben für die Kirchen, für den Leib Christi. Und gleichzeitig haben sie natürlich einen großen Einfluss in die Gesellschaft hinein. Das sind Meinungsträger zusammen mit anderen Kunstschaffenden, die wir auch erreichen mit unserer Arbeit. Und Musik ist auch ein Stück meines Lebens. In Basel ist das Musikleben sehr wichtig. Meine Frau kommt aus Finnland und die ganze Musiktradition ist da auch sehr wichtig. Und wir lieben Musik, sonst würden wir das gar nicht tun. Und wir lieben selbstverständlich auch die Musikerinnen und Musiker. Wir haben jetzt auch mit Tanzschaffenden angefangen, aus dem Royal Ballet und aus Stuttgart usw., diese zu verknüpfen. Da haben wir eine Vollzeiterin, die das macht. Ja, wir haben ein weltweites Netzwerk aufgebaut und das macht Riesenspaß.
Wunderbar. Ich kenne eigentlich nicht wirklich eine vergleichbare Arbeit als jetzt eure, die sich diesen besonders begabten und vielerorts ja auch Berufsmusikern in dieser Weise annimmt. Würdest du sagen, es gibt da auch durch die Anforderungen, durch die hohe Qualifikation, durch die Perfektion, die irgendwie auch in der Musik immer mehr Raum gewinnt, auch eine besondere Art von Stress? Oder könnte man sagen, die Höhenluft da oben ist doch einigermaßen dünn?
Absolut. Das kommt einem aus der Musik entgegen, noch mehr aus dem Tanzbereich. Da ist die Luft sehr, sehr dünn. Und gleichzeitig merken wir auch, dass oft in der Ausbildung so ein Schema F da ist. Das heißt, man muss technisch perfekt sein und es werden vor allem die Fehler gezählt und weniger auf die individuelle Begabung Rücksicht genommen. Und das versuchen wir auch mit Kursen aufzufangen. Wir haben ein großes Institut. Und wir merken an den Reaktionen der jungen Musikerinnen und Musiker und Studenten, wie unglaublich wichtig das für sie ist, dass sie einem Lehrer begegnen, einer Opernsängerin, die große Erfahrung mitbringt, aber die auch das Zwischenmenschliche stark betont. Und diesen Leuten zu begegnen ist sehr wichtig, die das Individuelle fördern. [...] Es kommt aufs Herz an und da gibt es Entwicklungsbedarf, selbstverständlich bei uns allen, aber darauf legen wir auch Wert in unseren Meisterkursen. Nun, «Crescendo» ist viel mehr als Meisterkurse. Es ist auch eine Seelsorge-Bewegung und eine Bewegung, die nichtchristliche Musiker erreicht. Aber soweit wir können, möchten wir das ihnen nahebringen, dass nicht nur die Technik zählt.
Ich stelle mir diesen Druck eines Geigers gewaltig vor, wo dann der eine falsch gespielte Ton gleich in die Ohren von Hunderten geht. Also die Perfektion ist wichtig, aber ich glaube, man braucht das Herz eben auch dazu, um den entsprechenden Ton hervorzubringen.
Ja, absolut. Und da gibt es sicher auch solche einen Erwartungsdruck, sei es von den Lehrern, die ja natürlich auch Spitzenleute gerne in ihrer eigenen Biografie haben möchten, aber auch manchmal von den Eltern oder von den Musikerinnen und Musikern selber. Und da meinen viele, sie müssten jetzt gerade die großen Solisten werden. Ein Lehrer ist ja auch mindestens so wichtig wie ein großer Solist oder eine Orchestermusikerin oder eine Musikerin, die in einem Kammermusikensemble spielt. Und nicht alle sind für alles geschaffen.
Das heißt, da seid ihr ein bisschen Wegbegleiter, schafft Mentoren für die Leute, aber auch ein großes Freundesnetzwerk.
Ganz genau. Und da fällt mir z.B. ein Orchestermusiker ein, der 40 Jahre lang in seinem Orchester gedient hat und 40 Jahre lang in seine Kirche gegangen ist. Und da kam er in ein Sommerinstitut, das wir durchführen, und hat am Ende gesagt: «Zum ersten Mal sind meine wichtigsten Bereiche meines Lebens zusammengekommen.» Und da entstehen nicht nur Synergien, sondern da entsteht auch dann etwas Explosives, weil wenn das zusammenkommt, dann setzt das auch etwas frei, was dann nach außen wirkt. In beide Richtungen eigentlich.
Sehr schön zu hören. Beat [...], gleichzeitig bist du selber auch Künstler und hast nicht nur sozusagen das musikalische Gen und die Leidenschaft dafür, sondern du schreibst auch selber. Du schreibst in einem ganz besonderen Genre vornehmlich. Du schreibst Aphorismen. Was ist eigentlich ein Aphorismus genau? Was macht ihn aus?
Das sind kurze Texte, das sind keine Romane. Ein Aphorismus von mir lautet: «Aphorismus. Ich habe meinen Roman gekürzt.» Das ist bereits ein Aphorismus, also ein Zweizeiler. Manchmal besteht er auch nur aus zwei Worten. Das sind kleine, kurze Texte. Es gibt auch längere Aphorismen. Für Menschen, die mit der Bibel vertraut sind, könnte man sagen, es sind Sprüche aus dem Buch der Sprüche. Es gibt auch eben diese Tradition, die sich über Jahrhunderte hinweg bis in unsere heutige Zeit zieht und die eigentlich nie aufgehört hat zu existieren, aber so etwas wie ein Nischendasein fristet. Oft sind es philosophische Gedanken oder auch in meinen Texten theologische Gedanken. Das Wort kommt aus dem Griechischen und man hört darin das Wort «Horizont» und Horizont heißt ja Begrenzung. Also es ist eine Begrenzung der Zeilen bzw. der Zeichenanzahl da. Es ist eben kein Roman, sondern es ist ein ganz kurzer Text, der möglichst dicht ist. [...]