Bosbach: «Alles ist rechts, was nicht links ist»
Der beliebte CDU-Politiker Wolfgang Bosbach analysiert die aktuelle politische Situation mit Klartext und inhaltlicher Tiefenschärfe. Er gibt eine Einschätzung über das politische Klima im Land und ob wir uns im Wahljahr vor einem «Rechtsruck» fürchten müssen. Ein Auszug aus seinem Buch «Totalausfall». Die Fragen stellte Ralf Schuler.
Anfang 2024 gab es (…) große Demonstrationen gegen Rechtsextremismus. Was hat das bei Ihnen ausgelöst?
Über die vielen und beeindruckend großen Demonstrationen nach dem ominösen Treffen im «Landhaus Adlon» am Lehnitzsee bei Potsdam habe ich mich wirklich gefreut. Die AfD lebt ganz gut davon, seit Jahren das Märchen zu verbreiten, dass auf der einen Seite die sogenannten Altparteien stehen – weit abgehoben von der Bevölkerung und deren ganz alltäglichen Sorgen – und auf der anderen Seite sie, die AfD, als Vertreterin der schweigenden Mehrheit. Das war schon immer Stuss, aber im Januar 2024 wurde deutlich: Die große Mehrheit der Bevölkerung denkt völlig anders als die AfD und lehnt vor allem deren Politik kategorisch ab.
Wenn man sich die Demonstranten etwas näher angesehen hat, dann erkannte man aber auch Antifa-Leute, Islamisten, Israel-Hasser und Linksradikale, die die Union in einem Atemzug mit Rechtsextremisten nannten und ganz offensichtlich alles Bürgerliche und Konservative mit erledigen wollten. Bei den Bauern hieß es noch, die Demonstrationen seien gekapert worden; bei diesen Aufmärschen sah man großzügig über die Radikalen hinweg …
Leider völlig richtig! Mich haben auch viele Plakate und Parolen irritiert, die bei diesen Demos zu sehen und zu hören waren. Demonstriert werden sollte zunächst gegen die AfD, dann gegen Rechtsextremismus und zum Schluss ging es ganz allgemein «gegen rechts». Genauer gesagt: Protestiert wurde – nicht immer, aber auch – gegen alle politischen Bestrebungen, die nicht dem linken politischen Spektrum zugeordnet werden können.
Ich fürchte, wir sind nicht weit davon entfernt, dass jede Kritik an der Politik der Ampel als «rechts» gebrandmarkt wird. Manchmal wurde es geradezu kurios. In vielen Demos wurde lauthals gerufen: «Ganz XYZ-Stadt hasst die AfD», daneben wackere Demonstranten mit dem Schild: «Hass ist keine Meinung!» Das entbehrt nicht einer gewissen Originalität.
Wird das – in Ermanglung vorzeigbarer anderer Erfolge – auch der Grundtenor im heraufziehenden Bundestagswahlkampf sein? Wir, die Ampel, sind gleich Demokratie, ihr Kritiker helft den Radikalen?
Ich gehe davon aus, dass diese Stimmung mindestens bis zum Herbst 2025 anhalten wird, dem Zeitraum der nächsten Bundestagswahl. Den Sound dieses Wahlkampfes können wir schon jetzt hören: Auf der einen Seite stehen die Freunde der Ampel und die vereinigte Linke. Dort schließen sich die Guten zusammen: die Gerechten, die Retter der Umwelt und des Klimas, die sozial und kulturell Sensiblen. Alles, was sich nicht in diesen Kreis begibt, ist «rechts». Da wird dann auch zwischen wertkonservativ, rechts und rechtsextrem nicht mehr groß unterschieden. Übertrieben? Ich fürchte: Nein. Die Ampelparteien wissen doch ganz genau, dass sie mit ihrer Politik bei der Mehrheit der Bevölkerung nicht punkten können. Die Mehrheit möchte eine andere Regierung, eine andere, bessere Politik. Also müssen sie sich für den Wahlkampf etwas völlig anderes einfallen lassen, um die enttäuschten Anhänger zu mobilisieren. Der Kampf gegen die AfD und die übrigen Spielarten rechtsextremistischer Bewegungen wird dann zum «Kampf gegen rechts» umfirmiert – und alles ist rechts, was nicht links ist.
Hoffentlich weiß die Union, was da auf sie zukommt.
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Die andere große Protestpartei, die einen beachtlichen Aufschwung hingelegt hat, ist die AfD, die inzwischen sowohl im Westen angekommen ist als auch im Osten Prozentmargen erreicht, zwischen zwanzig und dreißig Prozent, die man ihr vor Jahr und Tag überhaupt nicht zugetraut hätte. Kann es gut gehen, solche großen Wählergruppen so konsequent aus dem politischen Mess- und Regelsystem rauszuhalten, wie das bisher geschieht? Keinen Bundestagsvizepräsidenten, keine Ausschusschefs, keine Einladungen in öffentliche Talksendungen und eine viel beschworene «Brandmauer» der Union mit Blick auf jegliche Kooperation?
Diese Entwicklung kommt nicht von ungefähr. Leider haben sich die etablierten Parteien viel zu spät die Frage gestellt, welche Ursachen der AfD-Aufschwung hat. Von einer überzeugenden Beantwortung dieser Frage ganz zu schweigen. Stattdessen hat man sich darauf konzentriert – dort, wo dies möglich ist –, die AfD auszugrenzen, was einerseits nachvollziehbar ist, andererseits bei vielen den Eindruck hinterlassen hat, die anderen Parteien würden die Auseinandersetzung mit der AfD scheuen.
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Die Politik der Ampel-Koalition ist kein Segen für das Land, aber für die AfD. Die AfD ist seit ihrer Gründung noch nie durch konstruktive, intelligente, praxistaugliche politische Ideen aufgefallen, eher durch Theater in den Parlamenten, durch Querelen und Austritte oder politische Exzesse des völkischen Flügels. Einen «gärigen Haufen» hat Alexander Gauland, der AfD-Ehrenvorsitzende, seine Partei einmal genannt. Das durch diesen Gärungsprozess entstandene Gebräu ist derart unbekömmlich, dass die AfD für CDU und CSU niemals ein politischer Partner sein kann.
Interessant wird es, wenn AfD-Sympathisanten treuherzig bekunden, die AfD würde aber die richtigen Fragen stellen! Entscheidend sind doch nun wirklich nicht die von der AfD thematisierten politischen Fragen, entscheidend sind die Antworten, die dort gegeben werden und die oft genug erschreckend sind. Die AfD hat ein völlig diffuses Verhältnis zur NATO und zur EU. Nur mit großer Mühe ist es ihrer Spitze gelungen, radikalen Forderungen aus der Mitte der Partei nach Austritt aus beiden Bündnissen eine Absage zu erteilen. Wenn eine Partei wie die AfD keine grundsätzlich positive Haltung zu beiden Bündnissen hat, dann schadet sie den Interessen des Landes.
Die CDU ist auch eine konservative Partei, aber nie und nimmer eine reaktionäre. Sie ist patriotisch, aber nie und nimmer nationalistisch. Der Nationalismus ist keine Variante des Patriotismus, sondern sein Gegenteil.
Ob man das nun Brandmauer nennt oder nicht, das ist sekundär. Entscheidend ist, dass Gründungsidee, Geschichte und Programmatik der Union so meilenweit von den politischen Vorstellungen der AfD entfernt sind, dass ich eine irgendwie geartete politische Schnittmenge noch nicht einmal mit der Lupe erkennen kann. Und den Willen zu einer Zusammenarbeit erst recht nicht. Nicht heute, nicht morgen und auch nicht übermorgen.
Des ungeachtet sollten wir nie den Versuch aufgeben, jene Sympathisanten und Wähler der AfD für die Parteien der politischen Mitte zurückzugewinnen, die keine gefestigten radikalen, rechtsextremistischen Ansichten vertreten, sondern aus Wut oder Protest der AfD zuneigen.
Wenn wir alle, ausnahmslos alle AfD-Anhänger als für die Mitte verloren aufgeben, wird die AfD nicht so schnell schrumpfen. Die «Sind-sowieso-alles-Nazis»-Argumentation ist für mich nicht überzeugend, da genügt ein Blick auf die Wählerwanderungen nach Wahlen. Wer beim letzten Mal noch CDU, SPD oder FDP gewählt und dann zur AfD gewechselt ist, soll plötzlich vom Sozialdemokraten oder Liberalen zum Nazi geworden sein? Diese Argumentation ist für mich nicht überzeugend.
Auszug aus «Totalausfall. Was sich Deutschland ändern muss, damit es wieder aufwärts geht» von Wolfgang Bosbach & Ralf Schuler (S. 86–88, S.155–159)